Von der Revue zum Rock: Die Geschichte des Musicals
Nüchtern analysiert, handelt es sich beim Musical um eine Form populären Musiktheaters, die Gesang, Tanz, Schauspiel und Musik in einem durchgängigen Handlungsrahmen verbindet. Der Begriff selbst ist eigentlich ein hauptwörtlich gebrauchtes Adjektiv und bedeutet in der deutschen Übersetzung musikalisch. Die Ursprünge dieser weltweit erfolgreichen Gattung liegen in New York und London und reichen weit in das 19. Jahrhundert zurück. Als erstes Musical überhaupt wird meist das 1866 uraufgeführte Stück „The Black Crook“ genannt.
Die Geschichte des modernen Musicals begann schließlich etwa um 1920 am New Yorker Broadway und im Londoner West End, die bis heute als Epizentren gelten, von denen aus sich das Musical rasch international verbreitete. Der Schmelztiegel Broadway, mit Künstler*innen diverser Nationalitäten, Kulturen und sozialer Schichten brachte auch unterschiedliche Einflüsse in das Genre ein, die von Swing und Jazz über französische Revuen, Vaudeville und Burlesque bis zur Pariser und Wiener Operette reichten. Aufwändige Kostüme und Bühneneffekte wurden ebenso zum Charakteristikum wie die thematische Bandbreite. So wurden humorvolle Stoffe ebenso behandelt wie tragische, auch für gesellschaftlich relevante oder sensible Themen war das Musical stets offen. Manche Stücke beruhen auf literarischen Vorlagen, in jüngerer Zeit oft auch auf Filmen.
Blütezeit im 20. Jahrhundert
Die klassische Zeit des Musicals begann in den 1920er Jahren und dauerte mehrere Jahrzehnte. Sie wurde geprägt von Komponisten wie Cole Porter, Irving Berlin und George Gershwin, später auch von Richard Rodgers, Oscar Hammerstein, Frederick Loewe und Jerry Herman. Ein wesentlicher Meilenstein war Leonard Bernsteins 1957 uraufgeführte „West Side Story“, die sich stilistisch, thematisch und musikalisch abhob und so den Weg freimachte für Arbeiten wie „Cabaret“ (1966) oder „Chicago“ (1975). Schon immer war im Musical ein breites Spektrum musikalischer Einflüsse vertreten, die von Jazz, Swing, Soul, Pop und Rock’n’Roll bis hin zu aktuellem Hip-Hop reichen. Mit Einführung des Tonfilms wurde das Gesamtkunstwerk Musical auch für Hollywood ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Starprinzip im Filmmusical
Das neue Medium eröffnete innovative Möglichkeiten, die sich auf einer Bühne nicht realisieren ließen, die aber wesentlich am weiteren Erfolg der Gattung Anteil hatten. Rasche Szenenwechsel waren ebenso machbar wie Nahaufnahmen, realistische Orte wichen gemalten Bühnenbildern, Choreographien eröffneten neue Blickwinkel. Waren es zunächst eher verfilmte Revuen, gilt „Show Boat“ aus dem Jahr 1936 gemeinhin als erstes eigenständiges Filmmusical. Der enorme kommerzielle Erfolg und die Beliebtheit dieser Produktionen beim Publikum ließ die Anzahl der Filmmusicals explodieren und brachte eine Riege an Stars hervor. Fred Astaire, Ginger Rodgers oder Gene Kelly verdanken ihren Ruhm Tanzfilmen, Judy Garland – und später ihre Tochter Liza Minnelli –, Betty Grable, Doris Day und natürlich Julie Andrews wurden durch das Genre zu weltweit verehrten Berühmtheiten.
Auch Bühnenmusicals wurden verfilmt, und manches Filmmusical, wie etwa „Mary Poppins“, wurde später auch zum Bühnenerfolg.
Rock, Pop & Gesellschaftskritik
Woodstock, der Vietnamkrieg und die Flower-Power-Bewegung beeinflussten auch das Musical. Anstelle von Streichinstrumenten und sinfonischer Klänge standen plötzlich Rockmusik und E-Gitarren im Vordergrund. Musicals wie „Hair“ (1968) oder die Rockoper „Jesus Christ Superstar“ (1971) wurden zu Meilensteinen der Popkultur, „The Rocky Horror Show“ (1973) etablierte eine sexuell aufgeladene, nach heutigen Maßstäben erotisch-diverse Form der Satire und wurde 1975 als „Rocky Horror Picture Show“ auch zum Kultfilm.
Ein Protagonist des Genres, der in den 1970er Jahren erste Erfolge feierte, ist Andrew Lloyd Webber – mit Musicals wie „Evita“ (1978), „Cats“ (1980), „Das Phantom der Oper“ (1986) oder „Sunset Boulevard“ (1993) ein internationaler big player. Cameron Mackintosh feierte mit außergewöhnlich aufwändigen Produktionen – darunter „Les Misérables“ (1985), und „Miss Saigon“ (1989) – seinen Durchbruch als internationaler Musical-Produzent. Stephen Sondheim wurde als Komponist und Texter zur mit Grammys, Tonys und einem Oscar ausgezeichneten Broadway-Legende. Von ihm stammen etwa die Texte für Leonard Bernsteins „West Side Story“ und Jule Stynes „Gypsy“, er schrieb und komponierte u.a. „A Little Night Music“, „Sweeney Todd“ und „Into The Woods“.
Superhits im Musical-Gewand
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts fand mit den sogenannten Jukebox-Musicals ein neuer Trend Einzug in die vielfältige Gattung. Dabei werden bekannte Titel eines Interpreten oder einer Band in einen neuen inhaltlichen Kontext gestellt. Das erste Musical dieser Art war das bereits 1989 uraufgeführte „Buddy“, welches die Lebensgeschichte von Buddy Holly erzählte. Es folgten „Saturday Night Fever“ (1998) mit der Musik der Bee Gees und 1999 „Mamma Mia!“ mit den größten Hits von Abba, verpackt in eine Liebesgeschichte. Der ungeheure Erfolg, später auch in filmischer Form, dieses ikonischen Stücks führte zu einer wahren Flut an Jukebox-Musicals, der man sich auch im deutschsprachigen Raum nicht entziehen konnte. Eines der erfolgreichsten diesbezüglich: „Ich war noch niemals in New York“ (2007) mit der Musik von Udo Jürgens.
Musical in Österreich
Zahlreiche große Bühnen, wie die Volksoper oder etablierte Landestheater, setzen ebenso regelmäßig Musicals auf ihre Spielpläne wie kleinere Off-Theater. Als Zentrum des Musicals hierzulande gelten die Vereinigten Bühnen Wien, die sich mit den Spielstätten Raimund Theater und Ronacher ausschließlich Produktionen im En-Suite-Modus widmen. Früher brachten die VBW auch im Theater an der Wien große Musicals auf die Bühne, dieses wird allerdings seit 2006 als Stagione-Opernhaus geführt.
Den Auftakt im Raimund Theater machte 1987 „A Chorus Line“, einer der bisher größten Erfolge der VBW ist Andrew Lloyd Webbers „Cats“, das von 1983 bis 1988 im Theater an der Wien, und von 1988 bis 1990 und 2019 bis 2022 im Ronacher für volle Häuser sorgte. Neben internationalen Erfolgen wie „Chicago“, „Die Schöne und das Biest“, „Les Misérables“, „Mamma Mia!“, „Sister Act“ oder „Miss Saigon“ reüssierten die Vereinigten Bühnen Wien auch immer wieder mit eigenen Produktionen. Dazu zählen der Dauerbrenner „Elisabeth“ sowie die erfolgreichen in Wien uraufgeführten Stücke „Tanz der Vampire“, „Freudiana“, „Mozart!“, „Schikaneder“, „I am from Austria“ oder – aktuell im Raimund Theater wiederzusehen – „Rock Me Amadeus – Das Falco-Musical“. Für März 2024 angekündigt: „Das Phantom der Oper“.
Mit der VBW International GmbH sind die Vereinigten Bühnen Wien auch der einzige Produzent im deutschsprachigen Raum, der hauseigene Musicals weltweit exportiert. Insgesamt sahen so bereits 28 Millionen Menschen in 23 Ländern und 18 Sprachen eine Eigenproduktion der VBW. Spitzenreiter ist auch hier „Elisabeth“ von Michael Kunze und Sylvester Levay, das von China und Japan über Deutschland, Finnland und Schweden bis zu Italien und die Schweiz bereits um die halbe Erdkugel reiste.
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