Kleine Oper – große Kunst: Die Operette im Wandel der Zeit

Der Begriff Operette für ein musikalisches Bühnenwerk ist seit dem 18. Jahrhundert bekannt und bedeutet nach ihrem Wortlaut eine „kleine Oper“. Vor allem Einakter, also kurze Stücke, wurden so bezeichnet, auch weil sie im Gegensatz zu gängigen Opern oft eine komödiantische Handlung hatten und nicht immer Gesangsvirtuosen erforderten, sondern auch von Schauspielern bewerkstelligt werden konnten. Auch deutschsprachige, durchaus anspruchsvolle Opern wurden im 18. Jahrhundert manchmal Operette genannt, weil sie gegenüber italienischen und französischen Opern geringer geschätzt wurden.

Ende des 18. Jahrhunderts wurden Werke, die ihren Ursprung in der französischen Opéra comique hatten, gesprochene Dialoge anstatt gesungener Rezitative enthielten und von Pariser Jahrmarktstheatern anstatt von den großen Hofbühnen stammten, als Operette bezeichnet.

Diese meist kurzen Werke zeichneten sich durch grotesk-frivolen Inhalt aus. Berühmt gemacht hat die Operette der Komponist Jacques Offenbach, der 1855 in Paris das Théâtre des Bouffes-Parisiens eröffnete, das sich ausschließlich der neuen Gattung widmete. Unter dem Deckmantel der Parodie war auch offensive Erotik auf der Bühne möglich, Offenbach verzerrte die Realität ins absurd Komische und hatte damit enormen Erfolg. Dennoch wurde er immer wieder als sittengefährdend angeprangert.

Die Operette in Wien

Karl Treumann und Johann Nepomuk Nestroy übersetzten Offenbachs publikumswirksamste Werke und brachten sie nach Wien. Bald – etwa ab 1860 – entstanden eigenständige Wiener Operetten nach Pariser Vorbild. Als diesbezüglicher Erstling gilt Franz von Suppés Einakter „Das Pensionat“, ihm folgten Komponisten wie Johann Strauss, Karl Millöcker oder Carl Zeller, deren frühe Arbeiten in Vorstadttheatern gezeigt wurden, sich aber an ein zahlungskräftiges Bürgertum wandten. Neben dem Carl-Theater und dem Theater an der Wien entstanden neue Spielstätten wie das Theater am Franz-Josefs-Kai oder das Strampfer-Theater.

Ein Hauptmerkmal der österreichischen Ausformung war der Wiener Walzer, der sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als Erkennungsmelodie des Genres etablierte. Zu den größten Erfolgstiteln zählten „Die Fledermaus“ und „Eine Nacht in Venedig“ von Johann Strauss, deren Instrumentierung sich kaum von gängigen Opernorchestern unterschied.

In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts verschob sich das Französisch-Frivole hin zum Sentimentalen, Rührseligen, woran wohl auch der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 einen wesentlichen Anteil hatte. Das Nationale und Antisemitische hielt Einzug in die Wiener Operetten-Spielpläne, der lasziven Handlung französischer Operetten sollte das Volkstümliche und letzten Endes Vaterländische entgegengesetzt werden. Die Wiener Operette trachtete nach Seriosität und strebte in Richtung Spieloper, in der plötzlich Helden mit Vorbildcharakter gefragt waren. Als Beispiele gelten „Der Zigeunerbaron“ (Johann Strauss), „Der Bettelstudent“ (Carl Millöcker), „Gasparone“ (Carl Millöcker) oder „Simplicius“ (Johann Strauss).

Knapp vor der Jahrhundertwende war die erste goldene Ära der Wiener Operette zu Ende, erlebte mit Franz Lehárs „Die lustige Witwe“ (1905) aber eine zweite Glanzzeit. In der Folge richteten sich beinahe alle neuen Operetten nach dem Erfolgsmodell der „Witwe“ und stellten ähnliche Figuren ins Zentrum. Diese Austauschbarkeit schadete dem Genre, das sich nach dem Ersten Weltkrieg allerdings wieder erholte.

Neue Ära der musikalischen Komödie

In den 1920er Jahren entstandene Werke vermieden oft die in Verruf geratene Bezeichnung Operette und nannten sich stattdessen „musikalisches Singspiel“ oder „musikalische Komödie“. Neue, moderne Formen der Unterhaltungsmusik, vornehmlich aus den USA, gewannen an Einfluss, Anklänge an das populäre Broadway-Musical sind unüberhörbar, originale Filmoperetten eroberten ab den 1930er Jahren das Kino. Emmerich Kálmán, Franz Lehár, Ralph Benatzky und Robert Stolz wurden zu Stars unter den Komponisten. Neben Wien entwickelte sich Berlin zum deutschsprachigen Zentrum der Operette, weshalb auch viele Uraufführungen österreichischer Komponisten an der Spree stattfanden. Eines der bekanntesten Beispiele ist Franz Lehárs „Das Land des Lächelns“, das 1929 mit Richard Tauber in einer der Hauptrollen im Berliner Metropol-Theater seine erfolgreiche Premiere erlebte.

Mit dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland verschwanden die modernen Stücke von den Spielplänen. Viele Protagonisten der Wiener Operette waren jüdisch und mussten fliehen oder kamen in Konzentrationslagern um. Das Genre Operette blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht zuletzt dank zahlreicher Verfilmungen, sehr populär, entwickelte sich aber zunehmend in Richtung Revueoperette, wie Verfilmungen mit Johannes Heesters oder Marika Röck deutlich zeigen.

Operette heute

Nur noch wenige Häuser pflegen die Operette als zentralen Bestandteil ihrer Spielpläne. Dazu zählen das Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz und erfreulicherweise die Volksoper Wien. Deren seit 2022 amtierende Direktorin Lotte de Beer eröffnete mit Carl Millöckers Operette „Die Dubarry“ ihre Antrittssaison und verspricht, dem traditionellen Genre, dem in der Volksoper seit mehr als 120 Jahren eine große Bühne geboten wird, gemeinsam mit Musikdirektor Omer Meir Wellber weiterhin treu zu bleiben. Außergewöhnliche Zugänge, innovative Künstler*innen und spannende Kooperationen sollen für neue Blickwinkel sorgen und die Operette in eine moderne Zukunft führen.

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